„Nein, ja, doch…. ich freue mich auf Italien. Vermutlich werde ich wieder 5 Kilo schwerer zurückkommen, weil ich ständig essen muss“. Dies musste meine Mutter anhören, als sie mich anrief, um mir schöne Ferien zu wünschen. Ferien im Südtirol lagen vor uns, zwei Wochen raus aus der Arbeitsmühle, Aktiv-Ferien mit meinem Mann. Theoretisch wunderbar, blutzuckermässig ein Albtraum.
Plötzlich liefen mir Tränen übers Gesicht. „Ich hab’s nicht im Griff, Mami“. Meine Mutter hörte nur zu. Sie hörte zu, wie ich über den Diabetes fluchte, wie ich Angst davor hatte, meinem Mann und mir die Ferien durch ständige Blutzuckerschwankungen zu verderben. Ich fürchtete mich, für zwei Wochen meinen Tagesablauf zu ändern, mich viel zu bewegen und mich in wunderschöner Natur „zu erholen“.
Was passiert bei vermehrter Bewegung
Der Körper wird in Bewegung empfindlicher auf Insulin und braucht somit weniger davon. Während einer ausdauernden Belastung wie Wandern oder Velofahren fällt der Blutzucker bei den meisten Diabetiker*innen ab. Bei mir sinkt der Blutzucker oft bereits in den ersten 45 Minuten. Einerseits, weil das (Fett-)Gewebe besser durchblutet wird und das Insulin rascher in die Zirkulation kommt. Andererseits werden die bewegten Muskelgruppen empfindlicher auf Insulin. Die Insulinmenge kann somit meist stark reduziert werden.
Aktivität planen, planen, planen….
Natürlich kann man bei vermehrter Aktivität einfach mehr essen, das mache ich meist bei den täglichen kürzeren Sporteinheiten. Über längere Ferien mit mehreren aktiven Stunden pro Tag führt dies aber oft zur Gewichtszunahme. Ausserdem ist es meist nicht so lustig, nach 2 Stunden Wanderung bereits das ganze Picknick aufgefressen zu haben. Plant man die Wanderung oder Velotour aber frühzeitig, kann man das Insulin stark reduzieren und erhält damit zusätzliche Sicherheit vor Unterzuckerungen. Und rechtzeitig heisst mehrere Stunden vorher, spätestens vor dem Frühstück vor der Wanderung.
Mit Insulinpumpe gut machbar (?)
Eine Insulinpumpe mit regulierbarer Basalrate erleichtert einem das Leben sehr. Die Basalrate kann für mehrere Stunden reduziert werden, was vor Unterzuckerungen schützt. Den neuen Closed-loop Systemen (wie der Minimed 780) fehlt diese Funktion leider. Die Funktion «temporäre Erhöhung des Zielwertes» reichte bei meinen Wanderungen bei weitem nicht aus. (Das Picknick war also trotzdem jedesmal ruckzuck aufgegessen….). Mit diesen neuen Pumpen lohnt es sich, frühzeitig in den alten Modus umzuschalten. So kann die Basalrate (in %) für eine gewisse Dauer stark reduziert werden.
Blutzuckerschwankungen nach der Aktivität
Nach mehrstündiger Aktivität ist das Risiko von Hypoglykämien oft für mehr als 24 Stunden erhöht. Man muss besonders gut drandenken, die Insulinmenge (Basis und Bolus) im Anschluss zu reduzieren. Gefährlich können vor allem nächtliche Unterzuckerungen sein, da sie sich unbemerkt anschleichen können.
Aktiv-Ferien mit Diabetes: Keine Angst vor ungewohnter Aktivität
Viele von uns brauchen für regelmässigen Sport und vermehrte Aktivität sowieso Überwindung. Als Diabetiker kommen zusätzlich Ängste dazu, wie die Angst vor Hypoglykämie oder der Verlust der Blutzuckerkontrolle nach der Aktivität.
Es ist schade, sich aktive Ferien durch den Diabetes verderben zu lassen. Sich vor langen Wanderungen zu fürchten, weil man soviel „essen muss“. Mit einem guten Plan kann man nämlich die Wanderungen oder Velotour geniessen und sich dabei grossartig erholen!
Und vielleicht muss man auch mal ein Auge zudrücken, wenn man im Bergrestaurant einen «blutzucker-stabilisierenden» Apfelstrudel gegessen hat, den man im Anschluss dann doch ein wenig bereut….
Was bei mir gut klappt: Für Aktivitäten über 90 Minuten
Vor der Aktivität | Während Aktivität | Nach Aktivität | |
noch Insulin an Bord? | |||
Blutzucker Zielbereich | 6-10 mmol/l | 6-10 mmol/l | 3.9-8 mmol/l |
zusätzliche Kohlenhydrate | 20-30g KH*/Stunde | ||
Bolus & Korrektur | hoch vor Aktivität: kleine Korrektur (-75%!) | hoch während Aktivität: kleine Korrektur (-75%) | Insulin reduzieren! -20% Essens-Bolus für 2-3 Stunden |
Basalrate | -50% eine Stunde vorher | -50% bis 1 Stunde vor Ende Aktivität | Basalrate für 8-12 Stunden auf 80% reduzieren |
*20-30g Kohlenhydrate: z.B. in 2-3dl Fruchtsaft, 1 Banane, 2 grosse Datteln
Hallo
Erst mal bravo… super geschrieben.
Ich als Typ eins Diabetiker ohne Pumpe aber mit Sensor G6, bin immer sehr interessiert wie es andere Diabetiker meistern.
Danke, lieber Stefan!