Für uns Typ 1 Diabetiker*innen wird in der Regel keine Beschränkung der Kohlenhydratmenge mehr vorgeschrieben. Wir können’s ja mit Insulin richten….
Selbstverständlich ist die Situation kompliziert: Die Menge an Kohlenhydraten und derer glykämischer Index (d.h. wie rasch sie vom Körper aufgenommen werden) spielen im Diabetesmanagement eine wichtige Rolle. Viele Diabetiker*innen ernähren sich kohlenhydrat-arm, um den Blutzucker einigermassen unter Kontrolle zu halten.
Insulin: viel hilft viel (…. und Fehler werden deutlicher)
Die schnell- oder ultra-schnell wirksamen Insuline transportieren die aufgenommenen Kohlenhydrate vom Blut in die Muskeln und Organe. Dies passiert aber im Vergleich zum Nicht-Diabetiker bei uns viel langsamer, da wir das Insulin in die Unterhaut spritzen und es erst ins Blut gelangen muss. Als Diabetikerin muss ich das Insulin für die Kohlenhydrate, die ich zu essen plane, 20-30 Minuten vor dem Essen injizieren.
Wenn ich mich nun in der Anzahl Kohlenhydrate in einer Mahlzeit verschätze, weniger oder mehr esse, kommt es zu einem Ungleichgewicht, zu einem Über- oder Unterzucker. Der Fehler wird natürlich grösser, je mehr ich mich verschätze, meist also auch, je mehr ich esse und spritze.
Kohlenhydrat-arme Ernährungsweise
Viele Diabetiker*innen entscheiden aus diesem Grund, wenig oder sehr wenig Kohlenhydrate zu essen. Während Nicht-Diabetiker*innen etwa 220-280g Kohlenhydrate pro Tag essen (45-55% der totalen Energie aus Kohlenhydraten), beschränken sich Diabetiker*innen oft auf <130g pro Tag (low-carbohydrate diet, etwa 30% der totalen Energie) oder gar <50g Kohlenhydrate pro Tag (very-low carbohydrate diet, etwa nur noch 10% der totalen Energie). Der Eiweissgehalt in der Ernährung bleibt meist konstant, etwas unter 25% der totalen Energiemenge. Somit wird die fehlende Energie dann meist durch Fett ersetzt: der Fettanteil steigt bei kohlenhydrat-armer Kost stark an. Daraus entstehen mehrere Risiken:
- Defizit in der Energieaufnahme: kohlenhydratarme, fettreiche Diäten haben oft eine verringerte Energiemenge. Obwohl das bei übergewichtigen Diabetiker*innen eventuell erwünscht ist und zu Gewichtseverlust führen kann (#ich-esse-keine-Kohlenhydrate-auch-als-Nicht-Diabetiker-Hype!), ist ein andauerndes Energiedefizit nicht ideal. Für Kinder und junge Erwachsene kann dies sogar Folgen auf Wachstum und Entwicklung haben, bei Erwachsenen sicher auf den Energielevel und die Lebensfreude.
- Nährstoffmangel: Bei (sehr) kohlenhydratarmen Diäten werden wichtige Lebensmittelgruppen wie Vollkornprodukte, stärkehaltiges Gemüse, Hülsenfrüchte und Linsen, sowie Früchte eingeschränkt oder ausgeschlossen. Diese Lebensmittel liefern neben Energie und ein breites Spektrum an unverzichtbaren Vitaminen und Mineralstoffen, darunter Folat, Thiamin, Riboflavin, Niacin, die Vitamine A, C, D und E, Zink, Eisen, Kalzium, Kalium, Natrium, Magnesium, Phosphor, Selen und Jod sowie Ballaststoffe und eine Reihe von sekundären Pflanzenstoffen, darunter Carotinoide.
- Risiko (zu) viel Fett: mit der Aufnahme von Nahrungsfett als Hauptenergiequelle erhöht sich meist auch die Aufnahme von gesättigten Fetten, was Bedenken hinsichtlich des kardiovaskulären Risikos weckt. So wurden sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen, die eine kohlenhydratreduzierte Diät einhalten, eine Hyperlipidämie (hoher Blutfettgehalt, meist hohes LDL-Cholesterin) festgestellt.1
Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel
Es ist aber tatsächlich so, dass bei einer kohlenhydrat-ärmeren Ernährung die time-in-range (Zeit mit «normalem») Blutzucker höher ist. D.h. der Blutzuckerspiegel lässt sich besser einstellen, schwankt weniger.1
Für Diabetiker*innen ist also ein Mittelweg gefragt: Ausreichend Kohlenhydrate (siehe Kohlenhydrate-machen-keinen-Diabetes), diese mit niedrigem glykämischen Index, d.h. viele Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Vollkorngetreide, Quinoa. Viiiele Früchte mit niedrigem glykämischen Index. Dabei sollte man auch die Proteinzufuhr beachten (ja, das geht auch als Veganer*in ausgezeichnet) und wenn Fette, dann am besten aus Früchten (Avocados), Samen und Nüssen.
Genug Insulin bleibt wichtig
Auch wenn man als Diabetiker*in oft so wenig Insulin wie möglich brauchen möchte, ist es wichtig zu verstehen, dass Insulin eines der primären anabolen (aufbauenden) Hormone des Körpers ist. Wenn zuwenig Insulin vorhanden ist, wird dem Körper signalisiert, dass zuwenig Nährstoffe vorhanden sind und dieser stellt auf einen katabolen (abbauenden) Mechanismus um. Somit bleibt es ideal, wenn sich Typ 1 Diabetiker*innen Insulinmengen verabreichen, die in etwa denjenigen von Nicht-Diabetikern entsprechen.
Soviele Blutzuckerwerte wie möglich im Normbereich bleiben das oberste Ziel von uns Diabetiker*innen. Aber diese sollten wir lieber mit rechtzeitiger Insulindosierung und dem Verzehr von Kohlenhydraten mit niedrigem glykämischem Index erreichen, als mit extrem kohlenhydrat-armer Ernährung. (DIE AUCH KEINEN SPASS MACHT, übrigens!)
Literaturangaben:
Seckold R, Fisher E, de Bock M, King BR, Smart CE. The ups and downs of low-carbohydrate diets in the management of Type 1 diabetes: a review of clinical outcomes. Diabet Med. 2019 Mar;36(3):326-334. doi: 10.1111/dme.13845. Epub 2018 Nov 19. PMID: 30362180