Irritiert habe ich in den letzten Wochen mehrmals gehört, wie froh einige Mitmenschen um mich herum sind, «dass dieses Jahr endlich vorbei ist». Ja, wir befinden uns in schweren Zeiten. Eine Pandemie hat grosse Teile der globalen Bevölkerung befallen. Zu viele werden sehr krank, einige sterben daran. Die Regierungen kämpfen unter der Last, unter ihrer Glaubwürdigkeit. Manche Volkswirtschaften stürzen ab, Existenzen sind in Gefahr. Jeder hat eine Meinung, die wenigsten eine Ahnung. Wir wissen tatsächlich vieles über diese Erkrankung nicht, das macht uns Angst und unsicher. Wir müssen uns vorübergehend an neue Regeln halten.
Aber ehrlich: Wir konnten eine Reise nicht antreten, für die wir bereits bezahlt hatten? Wir sollen uns zurückhalten, um das Verbreiten des Virus zu verringern? Wir sollen momentan nicht wegen einer kleinen Routineangelegenheit zum Arzt gehen, um das System nicht weiter zu belasten?
Warum sind wir denn so beleidigt? Warum beschweren wir uns? Das ist es, wofür wir hier sind.
Seneca, von der Vorsehung 5.7b.8
Dürfen wir uns darüber beschweren, dass das letzte Jahr nicht gänzlich nach unseren Vorstellungen gelaufen ist? Wollen wir es so schnell wie möglich vergessen, es aus unserer Erinnerung wegwünschen? Wir, die wir doch gar nicht wissen, wieviel Zeit wir noch haben und auch nicht, ob nicht noch mehr Ärger im Anmarsch ist?
Niemand hat behauptet, dass das Leben einfach sei, oder gerecht. Das Leben ist unberechenbar. Glück und oft auch Gesundheit sind wankelmütig. Vielleicht sollten wir gute Zeiten nicht als so selbstverständlich hinnehmen.
Gerne habe ich im vergangenen Jahr immer wieder darüber gelesen, was die Stoiker als die höchsten Tugenden hochhalten: Mut. Selbstdisziplin. Gerechtigkeit. Weisheit. Das heisst: Keine Angst zu haben, nicht den niederen Instinkten nachzugeben, sich nicht über andere zu stellen. Sich nicht nur an die Regeln zu halten, sondern auch an die «Empfehlungen». Sich nicht im Nahen zu verlieren, in den eigenen kleinen Problemen und Unpässlichkeiten, sondern das grosse Ganze zu sehen.
Wir sollten es schätzen, dass uns auch schwierige Lebensumstände Gelegenheit geben, etwas zu lernen, auch wenn es vielleicht nicht das ist, was wir uns gewünscht hätten. Das ist es, was Stoiker immer getan haben, wenn sich die Ereignisse überschlugen. Das ist es, was es bedeutet, an Mut, Selbstdisziplin, Gerechtigkeit und Weisheit zu glauben.
Marcus Aurelius hat vorausgesagt, dass die Zeit kommt, in der wir aufhören müssen, darüber zu reden, wie ein guter Mensch ist, und tatsächlich einer sein müssen. Jetzt haben wir Gelegenheit das zu tun und die Schwächsten unter uns an die erste Stelle zu setzen.
Ich finde es lohnt sich in guten wie in schlechten Zeiten zu pflegen, worum es in der Philosophie geht.
Somit, Danke 2020, willkommen 2021!
Das hast Du wunderschön gesagt, danke! <3
Ich würde mir oft mehr Menschen mit solcher Eistellung wünschen. Deine Ausagen kann ich nur unterstützen und freue mich darüber. Geniessen wir die schönen Momente der Gegenwart!
Alles Lieb
Ruth