Meist verbinden wir Stress mit etwas unangenehmen. Wir scheinen zu wissen, Stress sei schlecht für uns, mache krank.
Dies stimmt allerdings nicht so ganz. Stressforscher haben herausgefunden, dass die Einstellung gegenüber sogenanntem Stress, einen grossen Einfluss hat. Wenn Stress als schädlich betrachtet wird, und die einzige Strategie darin besteht, ihn möglichst zu vermeiden (oder sich darüber aufzuregen), kann er tatsächlich krank machen. Aber die normale Stressantwort ist ursprünglich dafür da, unsere Leistung zu steigern. Sie schützt uns vor schädlicher Auswirkung diverser Hormone.
Wieso sind wir so «gestresst»?
Genereller «Stress» im umgangssprachlichen Sinn ist in vielen Lebenslagen unvermeidlich. Wir haben zu viel zu tun, zu viel vor. Die Zeit ist knapp, man möchte überall dabei sein, nichts verpassen. Wir haben eine volle Mailbox, drohende Deadlines, Meetings die länger dauern als erwartet. Der Chef braucht plötzlich dringend etwas von uns, und eben haben wir bei einem zusätzlichen Projekt von einem Kollegen zugesagt. Die Zeit wird knapp, wir streichen den Sport aus dem Tagesplan, essen rasch ein Sandwich am Computer und schlafen weniger. Und dann kommen unerwartet Rückenschmerzen dazu, oder ein Mitarbeiter, von dem wir uns ärgern lassen.
Eine Garantie dafür, dass beim Diabetiker da der Blutzucker ausflippt!
Die Funktion der Stressreaktion des Körpers
Körperliche und geistige Herausforderungen können akuten Stress hervorrufen. Die ursprüngliche Funktion der Stressreaktion dient aber dem vorübergehenden Schutz des Körpers. Eine starke Herausforderung erfordert nämlich oft eine veränderte Organfunktion der Drüsen und Muskeln, um unter abnormalen «stressigen» Bedingungen angemessen zu funktionieren. Als «fight-or-flight» Reaktionen (Kampf-oder-Flucht-Reaktionen) bekannt, sind diese Reaktionen ein Schutzmechanismus des Körpers, z.B. zum raschen Davonrennen vor Gefahr. Die schnellen Reaktionen werden hauptsächlich über Hormone – die sogenannten Katecholamine (Adrenalin und Noradrenalin) – vermittelt. Diese werden aus dem Nebennierenmark ausgeschieden und aktivieren in der Folge die Organfunktion und die Spannung der glatten Muskulatur. Während einer solchen (Stress-) Reaktion kommt es zu erhöhtem Blutdruck, erhöhter Herzleistung und Veränderungen, die den Blutzuckerspiegel und freie Fettsäuren im Blut erhöhen. Das erscheint sehr sinnvoll, auf der Flucht braucht man Energie!
Aber auch starke emotionale Erregung wie Wut, Angst oder Aufregung sowie Veränderungen der Umgebung (kalte Temperatur oder große Höhe) erzeugen ähnliche Reaktionen.1 Während diese schnellen Reaktionen für das Überleben notwendig sein können, kann eine anhaltende Erhöhung der Stresshormone bei chronischem Stress (Katecholamine, Wachstumshormone und Cortisol) zu Problemen führen: Überlastung des Herzens, chronische Erhöhung des Blutdruckes und des Blutzuckers.
Stress beim Diabetiker und Diabetes-spezifischer Stress
Gerade beim Diabetiker kann negativ empfundener, andauernder Stress über unterschiedliche Mechanismen zu chronisch erhöhtem Blutzucker beitragen.2 Erhöhte Stresshormone, zusätzliche Glukoseproduktion in der Leber, Insulinresistenz, Zytokine (Entzündungssubstanzen) und allfällige autonome Neuropathie spielen dabei mit.3,4
Dazu kommt der Diabetes-spezifische Stress. 20-30% der Menschen mit Typ 1 Diabetes empfinden regelmässig einen erhöhten Druck bei der Aufrechterhaltung eines gesunden Lebensstils und guter Blutzuckerwerte. Dieser Diabetes-spezifische Stress bezeichnet die erhöhte emotionale Belastung, die Sorgen und Frustrationen im Leben mit Diabetes und dessen Behandlung.5,6,7 Er führt bei Typ 1 Diabetikern zu erhöhtem Durchschnittszucker, einem erhöhten HbA1c.
Neben der Hormonantwort ist es auch wahrscheinlich, dass man in stressigen Phasen sein Diabetesmanagement nicht mehr so gut im Griff hat, sich schlechter ernährt und weniger bewegt. Zudem trägt chronischer Stress durch dieselben Faktoren zur Einlagerung von Fett im Bauchraum (viszeralem Fett) und zur Ausprägung des metabolischen Syndroms bei.8 Sowohl bei jugendlichen als auch bei erwachsenen Diabetikern gibt es Hinweise darauf, dass höhere Stresspegel mit einer schlechteren Schlafqualität und daraufhin schlechterer Blutzuckerkontrolle zusammenhängen können.9
Ein guter Umgang mit Stress
Somit ist ein guter Umgang mit Stress, ein gutes Stressmanagement für den Diabetiker ausserordentlich wichtig. Wenn der Stress den Blutzucker erhöht und ein hoher Blutzucker wieder «Stress macht» kommt man nämlich sonst in Teufels Küche!
Erwachsene, die eine positivere Einstellung gegenüber Stress haben, empfinden stressige Situationen meist nicht als schlimm. Der Fokus liegt darauf, die Stressantwort zu optimieren.10,11 Wer «Stress» also als Herausforderungen annehmen kann und ihn nicht als Bedrohung sieht, kann in Stresssituationen sogar deutlich verbesserte Leistung bringen. Solche Personen haben messbar weniger Symptome körperlicher Art und zeigen mehr Energie, bessere Leistung bei der Arbeit und eine höhere Zufriedenheit im Leben.12
Wie kann ich meine Einstellung Stress gegenüber ändern?
Eine Art, wie man seine Einstellung verbessern kann, ist die sogenannte «Stress-Neubeurteilung» (stress reappraisal). Dabei geht es nicht darum, Stress zu vermeiden, sondern den Fokus weg von der Bedrohung zur Herausforderung zu wechseln. Den Stress von aussen zu betrachten und zu hinterfragen.
Wenn ich Stress empfinde, weil ich zu viel zu tun habe, erinnere ich mich daran, weshalb der Körper eine Stressantwort auslöst. Es ist normale physiologische Reaktion, die ich nützen kann: durch die Stressantwort wird mein Gehirn besser durchblutet, meine Sinne geschärft. Oft erledigt man so die Aufgaben unter Druck schneller und besser. Ärgere ich mich über Kollegen, zu lange Sitzungen, zu viele Emails frage ich mich, ob es sich wohl echt lohnt, deswegen auszuflippen? Ob ich das überhaupt verändern kann? Ob ich das in einem anderen Licht sehen kann?13
Manchmal lohnt es sich auch einfach, seine Prioritäten wieder zu sortieren. Für den Diabetiker ist das in erster Linie, die guten Routinen auch in «stressigen Zeiten» nicht aufzugeben. Richtig zu essen, sich ausreichend zu bewegen und genug zu schlafen.
Und manchmal bleibt dann halt etwas anderes liegen…
«Zur Lebensart gehört, dass man auch gegen sich selbst höflich ist.»
Jean Paul Friedrich Richter
Literaturangaben
1. Tank AW, Lee Wong D. Peripheral and central effects of circulating catecholamines. Compr Physiol. 2015;5(1):1-15. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25589262
2. Surwit RS, Schneider MS, Feinglos MN. Stress and diabetes mellitus. Diabetes Care. 1992;15(10):1413-1422. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/1425110
3. Andrews RC, Walker BR. Glucocorticoids and insulin resistance: old hormones, new targets. Clin Sci (Lond). 1999;96(5):513-523. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/10209084
4. Barth E, Albuszies G, Baumgart K, et al. Glucose metabolism and catecholamines. Crit Care Med. 2007;35(9 Suppl):S508-518. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17713401
5. Sturt J, Dennick K, Due-Christensen M, McCarthy K. The detection and management of diabetes distress in people with type 1 diabetes. Curr Diab Rep. 2015;15(11):101. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26411924
6. Joensen LE, Tapager I, Willaing I. Diabetes distress in Type 1 diabetes–a new measurement fit for purpose. Diabet Med. 2013;30(9):1132-1139. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23701311
7. Polonsky WH, Fisher L, Earles J, et al. Assessing psychosocial distress in diabetes: development of the diabetes distress scale. Diabetes Care. 2005;28(3):626-631. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15735199
8. Marcovecchio ML, Chiarelli F. The effects of acute and chronic stress on diabetes control. Sci Signal. 2012;5(247):pt10. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23092890
9. Barone MT, Menna-Barreto L. Diabetes and sleep: a complex cause-and-effect relationship. Diabetes Res Clin Pract. 2011;91(2):129-137. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20810183
10. Crum AJ, Salovey P, Achor S. Rethinking stress: the role of mindsets in determining the stress response. J Pers Soc Psychol. 2013;104(4):716-733. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23437923
11. Jamieson JP, Crum AJ, Goyer JP, Marotta ME, Akinola M. Optimizing stress responses with reappraisal and mindset interventions: an integrated model. Anxiety Stress Coping. 2018;31(3):245-261. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29471669
12. Park D, Yu A, Metz SE, Tsukayama E, Crum AJ, Duckworth AL. Beliefs About Stress Attenuate the Relation Among Adverse Life Events, Perceived Distress, and Self-Control. Child Dev. 2018;89(6):2059-2069. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28872676
13. Holiday R. The Obstacle is the Way: The Ancient Art of Turning Adversity to Advantage. London: Profile Books LDT; 2015.