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Diabetes – wer hilft?

Wer hilft bei meinem Diabetes? Alleine bin ich mit den verflixten Blutzuckerwerten, alleine bin ich schuld daran. Manchmal will ich alleine damit sein, manchmal bin ich es einfach. Mit Bekannten rede ich selten über Diabetes. Mich nervt das allgemeine Unwissen über die Krankheit. Oder die unfundierte Bestärkung, ich sei ja sicher gut eingestellt. Meinungen darüber, dass man ja heutzutage das alles mit Insulin im Griff hätte und Tipps, was einem weiteren Bekannten geholfen habe… das alles bringt mir nichts.

Wer hilft aber tatsächlich bei einem Diabetes?

Medizinische Unterstützung

Medizinische Unterstützung und Beratung erhalte von meiner Diabetologin. Sie ist die Fachperson meines Vertrauens, und das ist als grosses Kompliment zu sehen. Ich misstraue Medizinern grundsätzlich. Alle drei Monate bin ich bei ihr in der Sprechstunde. Meine eigenen Unterlagen sind meist blutbekleckste, zerknitterte Tagebuchseiten, oder einfach aktuelle Sorgen und Fragen. Oft bin ich nervös, da ich ein schlechteres HbA1c erwarte, einen höheren Blutdruck, irgendeinen Wert, der beginnt, auf eine Komplikation hinzudeuten.

Manchmal flenne ich bereits nach ihrem ersten Satz – wie es mir denn gehe? – los. Die Zeit bei ihr ist aber magisch. Sie hört mir zu, fragt nach und setzt sich anschliessend mit mir vor den Bildschirm, um pragmatisch die Blutzuckerkurven der letzten zwei Wochen anzuschauen und zu diskutieren. Irgendwie verlangsamt sich die Zeit in ihrem Behandlungsraum. Die Zeit, die sie für mich eingeplant hat ist immer ausreichend, sie ist dann nur für mich da. Sie hat ihre Unterlagen über mich kurz vorher angeschaut, ist informiert. Wir knüpfen daran an, wo wir beim letzten Mal aufgehört haben, sie fragt nach, ob ich mein kleines Ziel, das wir jeweils zusammen setzen, erreichen konnte. Jedes Mal gehe ich beschwingt und motiviert nach Hause. Ich denke mir: so muss eine Ärztin sein, darin habe ich grosses Glück.

Psychische Unterstützung

(…) „Sie werden nicht nur mit körperlichen Problemen, sondern auch mit psychischen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, stellen Sie sich darauf ein“ (…), diese Worte aus der Intensivstation vor mehr als 26 Jahren habe ich nicht vergessen. Psychische Probleme, auch das noch? Das hätte mir gerade noch gefehlt. Wenn auch unangenehm, war an der Aussage der jungen Assistenzärztin offenbar grundsätzlich etwas Wahres daran.

Tatsächlich hatten mehrere frühere Untersuchungen zur geistigen und körperlichen Gesundheit bei jung-erwachsenen Typ 1 Diabetikern darauf hingewiesen, dass sie häufiger psychische Probleme oder gestörtes Essverhalten zeigten.1,2 Neuere Studien fanden diesen Unterschied jedoch nicht mehr. Es wurden weder vermehrt psychische Probleme noch Schlaf- oder Essstörungen festgestellt.3 Laut einer grossen Befragungsstudie aus Norwegen, sahen sich diese jung-erwachsenen Typ 1 Diabetiker*innen also nicht durch ihre Erkrankung in einem guten Leben eingeschränkt.3

Depressionen kommen dennoch bei Diabetiker*innen mehr als doppelt so häufig vor, wie in der normalen Bevölkerung. Bis anhin ist nicht eindeutig geklärt, ob Depression ein Risikofaktor für Diabetes ist oder umgekehrt, ziemlich sicher sind ursächlich beide Richtungen möglich.4,5 Bei Typ 2 Diabetiker*innen gibt es aber deutliche Hinweise auf gemeinsame Krankheitsursachen von Depression und dem Diabetes: So sollen Entzündungsprozesse, die zum Typ 2 Diabetes beitragen, auch das Gehirn direkt betreffen und die Entwicklung einer Depression befördern. Die Last einer – oft familiär auftretenden chronischen Erkrankung – kann zusätzlich zur Verletzlichkeit (Vulnerabilität) beitragen.4 Unterstützung durch Familie und Freunde ist wichtig. Aber depressive Symptome und Depressionen bedürfen unmittelbarer psychologischer Betreuung durch eine dafür ausgebildeten Fachperson.

Hilfe annehmen und Zügel mit in der Hand behalten

Für Diabetiker*innen selber bleibt es wichtig, die Zügel mit in der Hand zu behalten. Das fängt bei der eigenen Schulung und Information über die Krankheit an, die einerseits im Selbststudium (Bücher, Internet) erfolgen kann, andererseits aber über angebotenen Schulungsmöglichkeiten. Spitäler, Arztpraxen, Verbände und andere Institutionen bieten regelmässig Schulungen an. Eine Hausärztin oder ein Hausarzt gehört für die Erstversorgung anderer Probleme und als Bindeglied zu Fachärzt*innen zum Team mit dazu.

Darüber hinaus sollten die Patient*innen eine wissenschaftlich fundierte (evidenzbasierte) Aufklärung und regelmässigen Zugang zu spezialisierten Fachkräften wie Augenärzt*innen, Fussspezialist*innen und Ernährungswissenschaftler*innen in Anspruch nehmen dürfen.6 Werden zusätzliche Spezialist*innen zugezogen, oder sind gleichzeitig bestehende Krankheitsbilder vorhanden, wird oft leider etwas unklar, wem die Gesamtverantwortung für die Patienten obliegt.7

Diabetiker*innen brauchen Diabetolog*innen!

Ein optimales spezifischen Diabetesmanagement mit Insulin, weiteren Medikamenten und diversen technischen Hilfsmitteln erfordert von betreuenden Ärzt*innen eine zusätzliche Expertise. Sie müssen über die neusten Entwicklungen Bescheid wissen, die Geräte mit ihren Vor- und Nachteilen kennen und ihre Patient*innen auch darin beraten können. Das kann eine Allgemeinärztin oder ein Allgemeinarzt in der Regel nicht leisten.

Für die regelmässigen Kontrollen und Einstellungen des Diabetes erachte ich einen auf Diabetes spezialisierte Ärztin/Arzt mit einem Facharzt-Titel (z.B. bei uns FMH in Endokrinologie / Diabetologie) als äusserst sinnvoll. Dies sind Ärzt*innen, die sich nach dem Medizinstudium weitere 6 Jahre mit Schwerpunkt Endokrinologie / Diabetologie weitergebildet haben, wovon mindestens 1 Jahr der Weiterbildung in klinischer Diabetologie ist.

Leider werden heutzutage in der Schweiz immer noch die Mehrzahl von Typ 1 und Typ 2 Diabetikern von Ärzt*innen betreut, die keine anerkannte strukturierte Weiterbildung in Diabetologie absolviert haben. Im Jahr 2018 gab es gemäss der Ärztestatistik in der Schweiz 222 Spezialist*innen für Endokrinologie / Diabetologie.8 Diese Spezialist*innen behandeln eine Vielzahl von hormonellen Erkrankungen, wenn natürlich auch häufig Diabetes. Es ist eine eher geringe Anzahl im Verhältnis zu der von der Schweizerischen Diabetesgesellschaft publizierten Anzahl von etwa 500‘000 Diabetiker*innen in der Schweiz, wovon schätzungsweise 40‘000 Typ 1 Diabetiker*innen sind.9

… oder Diabetesfachberater*innen

In einigen  Ländern scheint die Unterstützung durch spezialisierte Diabetesfachberater*innen eine ähnlich gute oder sogar bessere Qualität der Versorgung als die durch Ärzt*innen zu bieten: Sie erreichen höhere Patientenzufriedenheit und die Häufigkeit der Besuche wird regelmässiger. Behandlungsziele wie HbA1c oder Cholesterinwerte konnten unter Betreuung durch Diabetesfachberater*innen gleich wie bei Arztbesuchen eingehalten werden, und Blutdruckwerte schnitten sogar leicht besser ab.10

Schlussendlich ist es für Diabetiker*innen wichtig, sich eine gute, individuell passende Unterstützungskette aufzubauen. … und somit die Zügel mit in der Hand zu behalten!

Literaturangaben:
1. Kakleas K, Kandyla B, Karayianni C, Karavanaki K. Psychosocial problems in adolescents with type 1 diabetes mellitus. Diabetes Metab. 2009;35(5):339-350. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19700362
2. Wisting L, Froisland DH, Skrivarhaug T, Dahl-Jorgensen K, Ro O. Disturbed eating behavior and omission of insulin in adolescents receiving intensified insulin treatment: a nationwide population-based study. Diabetes Care. 2013;36(11):3382-3387. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23963896
3. Sivertsen B, Petrie KJ, Wilhelmsen-Langeland A, Hysing M. Mental health in adolescents with Type 1 diabetes: results from a large population-based study. BMC Endocr Disord. 2014;14:83. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25303963
4. Moulton CD, Pickup JC, Ismail K. The link between depression and diabetes: the search for shared mechanisms. Lancet Diabetes Endocrinol. 2015;3(6):461-471. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25995124
5. Roy T, Lloyd CE. Epidemiology of depression and diabetes: a systematic review. J Affect Disord. 2012;142 Suppl:S8-21. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23062861
6. Terens N, Vecchi S, Bargagli AM, et al. Quality improvement strategies at primary care level to reduce inequalities in diabetes care: an equity-oriented systematic review. BMC Endocr Disord. 2018;18(1):31. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29843692
7. Rushforth B, McCrorie C, Glidewell L, Midgley E, Foy R. Barriers to effective management of type 2 diabetes in primary care: qualitative systematic review. Br J Gen Pract. 2016;66(643):e114-127. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26823263
8. FMH_Ärztestatistik. https://aerztestatistik.myfmh2.fmh.ch/. 2019.
9. Schweizerische_Diabetesgesellschaft. https://www.diabetesschweiz.ch/ueber-diabetes.html. 2019.
10. Laurant M, van der Biezen M, Wijers N, Watananirun K, Kontopantelis E, van Vught AJ. Nurses as substitutes for doctors in primary care. Cochrane Database Syst Rev. 2018;7:CD001271. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30011347

2 Gedanken zu „Diabetes – wer hilft?“

  1. Liebe Carla
    Da schreibt eine erfahrene Frau, super!
    Habe diesen Artikel gelesen und werde auch noch die anderen
    lesen.
    Ich habe mir ehrlich gesagt noch nie Gedanken über Diabetes gemacht..
    Herzlich lieber Gruss
    Ruth

    1. Liebe Ruth, danke für Deinen Kommentar. Siehst Du, und ich muss mir über den Seich die ganze Zeit Gedanken machen. Brr.
      herzlicher Gruess zurück!! Carla

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