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Diagnose Diabetes: Akzeptieren was los ist

«Sie müssen die Diagnose Diabetes akzeptieren, das werden Sie jetzt ein Leben lang haben“, sagte die Assistenzärztin. „Sie werden nicht nur mit körperlichen, sondern auch mit psychischen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Stellen Sie sich darauf ein“. Danke, so direkt wollte ich das Buchwissen der nur knapp älteren Medizinerin nicht aufs Auge gedrückt bekommen. Als ich im zweiten Jahr meines Tiermedizinstudiums mit 21 Jahren krank wurde, hatte ich keine Ahnung von Diabetes.

Ich war lange im Spital – einem kleinen Kantonsspital, dessen einzige Diabetesschwester in den Ferien war. Nach einigen Tagen Intensivstation lag ich im Zimmer und wartete. Auf was, wusste ich nicht. Der Blutzucker schwankte. Insulin und Essen waren zwar nach Schema, aber es machte mir den Eindruck, keiner wisse so genau wie man diesen jetzt einstellt. Die mir zur Verfügung gestellten Lehrmittel hatte ich ruckzuck gelesen, ich wusste Bescheid, wollte heim, oder wenigstens im Spitalgarten spazieren. Da ich zu der Zeit viele Hypos (Hypoglykämien, Unterzuckerungen) hatte, schien das dem medizinischen Personal zu riskant. Irgendwann wurde mir das zu viel, ich weinte. Als sie mir den Seelsorger schicken wollten, wohl um mir psychologischen oder geistlichen Rat zu bieten, ging ich nach Hause.

Was unterscheidet Typ 1 vom Typ 2 Diabetes?

Diabetes (im Volksmund “Zuckerkrankheit” genannt) ist eine chronische Erkrankung die durch einen Insulinmangel oder eine Insulinresistenz gekennzeichnet ist. Aber Diabetes ist nicht gleich Diabetes. Bei beiden Typen gibt es eine Störung im Hormonhaushalt des Insulins. Das Insulin ist als Hormon dafür zuständig, den Zucker aus dem Blut in die Zellen zu transportieren, um dort Energie zu liefern. Kann der Zucker nicht in die Zellen transportiert werden, steigt er im Blut an. So resultiert eine Hyperglykämie, ein zu hoher Blutzucker. Dieser schädigt den Körper, vor allem die feinen Nerven und kleinen Blutgefässe.

Typ 1 Diabetiker (nur etwa 5%) sind in der Minderheit, diese Erkrankung ist eher selten. Beim Typ 1 Diabetiker produziert die Bauchspeicheldrüse des Patienten kein Insulin mehr. Somit sind Typ 1 Diabetiker immer darauf angewiesen, mehrmals täglich Insulin zu spritzen. Insulin dient nicht dazu, den Diabetes zu heilen, sondern um nicht sofort daran zu sterben. Diese Art von Erkrankung tritt oft immunbedingt auf und ist nach heutigem Kenntnisstand weder vermeidbar noch heilbar.

Beim Typ 2 Diabetiker oder dem Schwangerschaftsdiabetes ist noch Insulin vorhanden. Diese Diabetiker haben oft ausreichend Insulin, es verliert aber an Wirksamkeit. Die Körperzellen sind «resistenter» gegen Insulin. Behandelt wird hier mit Medikamenten in Tablettenform, manchmal sind zusätzlich Insulininjektionen notwendig. Während es eine Reihe von anlagebedingten Ursachen gibt, begünstigen Übergewicht, Fettleibigkeit und zu wenig Bewegung die Entwicklung des Typ 2 Diabetes. Aufgrund der Ursachen können Anpassungen in der Lebensführung (im „Lifestyle“) die Erkrankung (Typ 2 Diabetes) abwenden, hinauszögern oder stark abschwächen.

Wieviele Diabetiker gibt es und wieso werden es immer mehr?

In der Europäischen Region leben zurzeit über 64 Millionen Menschen mit Diabetes. Die Häufigkeit der Krankheit nimmt weltweit zu: 1980 gab es 108 Millionen, 2014 waren bereits 422 Millionen Diabetiker (1 von 11 Personen!). Es ist somit korrekt von einer Diabetes-Epidemie zu sprechen, gar von einer Diabetes-Pandemie.

Die Zunahme der Krankheitshäufigkeit ist nicht, oder nur schwach durch die erhöhte Lebenserwartung erklärbar. Vielmehr ist der Anstieg ist auf eine Zunahme der veränderbaren Risikofaktoren zurückzuführen, auf Übergewicht und Fettsucht (Adipositas), ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel. Diabetes war 2016 die direkte Todesursache bei 1.6 Millionen Menschen, bei weiteren 2.2 Millionen war erhöhter Blutzucker als Todesursache mit im Spiel. Nach Schätzungen der Diabetes-Föderation ist bei etwa 40% der Menschen zwischen 20-79 Jahren (23.5 Millionen Menschen) der Diabetes nicht oder noch nicht diagnostiziert. Die Krankheit verursacht massive Kosten im Gesundheitswesen, für das Jahr 2015 lagen die Schätzungen für die Europäische Region bei 156 Milliarden US-$, fast 10% der gesamten Gesundheitskosten.1

Die gesundheitlichen Folgen

Die gesundheitlichen Folgen für einzelne Betroffene können fatal sein: Diabetiker haben ein 3-10x höheres Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Aufgrund des reduzierten Blutflusses und der Nervenschädigung erhöht sich auch sich das Risiko von Geschwüren vor allem an den Füssen / Zehen. Solche Geschwüre heilen bei Diabetikern schlecht und bieten einen Boden für nachfolgende Infektionen. So kommt es oft zu der Notwendigkeit von Gliedmassenamputationen. Diabetische Retinopathie (Erkrankung der Netzhaut im Auge) führt zu Verlust der Sehkraft, bis hin zur Blindheit, die Gefässschädigung in den Nieren zu Nierenversagen.2,3

Die gute Nachricht!

Wir können es beeinflussen. Veränderungen in den Lebensgewohnheiten könn(t)en viele Menschen vor Diabetes (Typ 2) schützen, oder das Einsetzen der Krankheit verzögern. Aktive Veränderungen in den Lebensgewohnheiten verbessern auch die Blutzuckerkontrolle von Typ 1 Diabetiker*innen enorm. Die Massnahmen scheinen relativ einfach und vermindern auch weitere nicht-übertragbare Krankheiten (Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs, chronische Atemwegserkrankungen). Alle diese Massnahmen wären übrigens auch für „gesunde Menschen“ anzustreben: 1) ein normales Körpergewicht, 2) regelmässige körperliche Aktivität, 3) gesunde Ernährung, 4) nicht rauchen.2

Die schlechte Nachricht ist aber offenbar, dass das schwieriger ist, als geglaubt. Zwar ist vieles bekannt und doch „geht nichts». Die Rate der Diabeteserkrankungen steigt weiterhin rasant an und jeder einzelne Diabetiker hadert zeitweise oder dauerhaft damit, seine Lebensgewohnheiten zu optimieren.

Literaturangaben:
1. Faktenblatt Diabetes. In: Weltgesundheitsorganisation (WHO) Regionalbüro für Europa, http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0003/305391/Diabetes-Fact-Sheet-ge.pdf?ua=12016
2. Diabetes Fact Sheet. In: World Health Organisation (WHO), https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/diabetes2018
3. Johnston KC, Bruno A, Pauls Q, et al. Intensive vs Standard Treatment of Hyperglycemia and Functional Outcome in Patients With Acute Ischemic Stroke: The SHINE Randomized Clinical Trial. JAMA. 2019;322(4):326-335. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/31334795

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