Als Diabetiker muss ich meine Energiereserven sehr gut einteilen. Ich weiss, sie sind limitiert, und ich weiss, dass ich sie regelmässig auffüllen muss. Es wäre mir ein Gräuel, als müde Person aufzutreten, in Sitzungen zu gähnen oder jemanden zuzujammern, ich hätte zu wenig geschlafen. Zuwenig Schlaf hat weitreichende Konsequenzen, die man vielleicht als Diabetiker etwas früher wahrnimmt: Mein Blutzucker ist schlechter, ich esse mehr und fühle mich grundsätzlich schlechter.
Jeder hat ein individuelles Energiebudget. Aber viele von uns merken offenbar gar nicht, dass sie dieses Budget täglich überziehen. Sie sind gewohnt auf Halbmast zu segeln…. Je stärker und länger das Schlafdefizit anhält, desto schlimmer wird das Aufmerksamkeitsdefizit und die Abnahme im Erinnerungsvermögen. Zunächst nimmt man zwar Schläfrigkeit und Konzentrationsmangel noch war, doch mit der Zeit überspielt das Gehirn dieses Defizit. Man wird überdreht, die Schläfrigkeit verschwindet. Der Konzentrationsmangel und die fehlende Denkleistung bleiben aber bestehen. Dies erhöht das Risiko für Fehler. Solche Fehler finden sich im privaten und Arbeits- Alltag, in Mikroschlafphasen beim Autofahren, verminderter psychische Stabilität und Resilienz. Bei einem nicht ausgeruhten Gehirn kann gemessen werden, dass die Verbindungen nicht mehr richtig funktionieren.
Diabetes und die zirkadiane Biologie
Zu einer der grossen Entdeckungen im Bereich Diabetes wurde in den letzten Jahren die zirkadiane Biologie genannt – die Abhängigkeit unserer Körperfunktionen von der Tageszeit.1
Störungen im zirkadianen Rhythmus sind nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, sie erhöhen das Risiko für nichtinfektiöse chronische Krankheiten, führen unter anderem zu Glukoseintoleranz (Insulinresistenz), Gewichtszunahme, Fettleibigkeit, Lebererkrankungen, verschiedenen Formen von Krebs, Depressionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.2 Es lohnt sich somit auch als Nicht-Diabetiker, seinen Rhythmus so konsequent wie möglich zu halten.
Wie zu wenig Schlaf den Diabetes verschlechtern kann
Zu wenig Schlaf, Übergewicht und Fettsucht sowie Typ 2 Diabetes hängen zusammen.3,4 Die Ursachen sind aber nicht genau geklärt, auch wenn viele Kurz-Schläfer (5-6 Stunden pro Nacht) ein höheres Risiko für Übergewicht haben. Viele Kurz-Schläfer befinden sich in einem prädiabetischen Zustand, in chronischer Insulinresistenz.5 Bezüglich der Schlaf-Dauer wurde eine U-förmige Kurve beobachtet: sowohl starke Kurz-, als auch Lang-Schläfer haben aber ein deutlich erhöhtes Risiko, einen Typ 2 Diabetes zu entwickeln. Das geringste Risiko besteht bei einer Schlafdauer von 7-8 Stunden in der Nacht.6,7
Zu wenig Schlaf erhöht Stresshormone und Entzündungsfaktoren. Somit erhöht sich die Insulinresistenz, bzw. Glukoseintoleranz (und zwar auch bei Nicht-Diabetikern!!). Schlaf moduliert den Zuckerstoffwechsel auch durch andere Hormone als Insulin. So reguliert er die Sättigungs- und Hungerhormone, Leptin und Ghrelin, sowie Cortisol. Dementsprechend wird beobachtet, dass Leute, die wenig schlafen, mehr essen. Vielleicht weil sie sich müde und erschöpft fühlen und versuchen, den Energielevel anzuheben? Oder einfach, weil sie mehr Zeit zum Essen haben?
Andererseits sind allerdings Übergewicht und Diabetes häufig Gründe, weshalb man schlecht schläft, nachts schlecht Luft kriegt, wegen zu hohem Blutzucker häufig auf die Toilette muss oder nach einem Hypo völlig gerädert in den Tag geht. Unter dem Strich wird aber die Stoffwechselkontrolle von allen, Diabetiker oder nicht, durch regelmässigen, ausreichenden Schlaf verbessert, und diesen lohnt es sich zu pflegen.6
Sind 6 Stunden Schlaf nicht genug??
Wie die meisten von uns war ich ebenfalls lange davon überzeugt, mit 6-7 Stunden absolut genug zu schlafen. Viele meiner Kollegen behaupten sogar, mit deutlich weniger auszukommen. An den Wochenenden versuchte ich meist etwas «aufzuholen», etwas nachzuschlafen oder mit einem Mittagsschläfchen verlorene Stunden der vergangenen Woche zu kompensieren. Das funktioniert leider nicht. In den letzten 5 Jahren häuften sich Berichte mit Empfehlungen für mehr Schlaf, das hat angefangen, mich zu interessieren. Nachdem ich das Buch von Matthew Walker «Why we sleep» gelesen hatte, war für mich absolut klar, dass ich meine Schlafzeit erhöhen und eine starke Regelmässigkeit rein bringen muss.8
Genug schlafen ist ein absoluter Gamechanger für den Blutzucker
Genug und gut schlafen ist sehr wichtig für mich: als Diabetikerin natürlich für meine Blutzuckerregulation und Insulinempfindlichkeit. Aber auch für mein sonstiges Wohlbefinden, für meine Leistungsfähigkeit und meine Freude an Arbeit und Leben!
Die Schlafmangel-Epidemie
Das amerikanische Center for Disease Control hatte die Schlafmenge der Bevölkerung von Industrienationen in den letzten 100 Jahren verfolgt und das Sinken von 7 Stunden 55 Minuten pro Nacht im Jahr 1942 auf etwa 6 Stunden 30 Minuten heute in den USA, England und Japan (als Beispiele) als eine «Schlafmangel-Epidemie» betitelt.9 Während der Schlafverlust des einzelnen natürlich individuell unangenehm ist, kommt es bei einem so gehäuft beobachteten Phänomen zu einer Auswirkung auf unsere Gesellschaft. Neben den ansteigenden Risiken für chronische Erkrankungen bringen Kinder und Jugendliche deutlich schlechtere Schulleistungen und haben eine schlechtere psychische Stabilität, in der Arbeitswelt wird weniger und weniger genau gearbeitet.
Berechnet man die wirtschaftlichen Verluste, die durch unzureichenden Schlaf entstehen, kommt man in allen Ländern auf Milliardenverluste, so hoch wie jeweils etwa 2% des Bruttoinlandproduktes, was etwa der Hälfte des Defizits im Gesundheitswesen entspräche. Eine Riesensumme, und nur, weil wir zuwenig schlafen!
Wieso können Manager…
Manager – die sich nota bene oft damit brüsten, mit 4 Stunden nächtlichen Schlafs auszukommen – haben schlechtere Führungsqualitäten und Selbstkontrolle, sind weniger empathisch und strukturiert.
…oder Ärzte mit sowenig Schlaf auskommen?
Ärzte sind übrigens ebenfalls ziemlich genau untersucht worden. Ein unausgeschlafener Mediziner macht bis zu 460% mehr diagnostische und bis zu 36% mehr therapeutische Fehler, als wenn er genug geschlafen hat und ausgeruht arbeitet. Diagnostische Fehler belasten die Finanzen im Gesundheitswesen, weil unnötige Tests verordnet oder durchgeführt werden. Und wenn ich lese, dass ein Chirurg, der die vorhergehende Nacht nur 6 oder weniger Stunden geschlafen hat, eine 170% höhere Wahrscheinlichkeit hat, einen schwerwiegenden Fehler während einer Operation zu machen, macht mir das schon Angst…
….und nach 22 Stunden ohne Schlaf (was bei einer Nachtschicht schon mal vorkommt) ist die Leistung des Operateurs schlechter, als wenn er 1 Promille Alkohol im Blut hätte (hicks, das wäre bei mir etwa ein halber Liter Wein…).10
Ich nehme an, die Zahlen sind auf uns Tierärzte übertragbar… Zu wenig schlafen ist keine Option, es rechnet sich für alle! Check it out: es hat eine Besser-schlafen Checkliste.
Literaturangaben:
1. Zierath JR. Major Advances and Discoveries in Diabetes – 2019 in Review. Curr Diab Rep. 2019;19(11):118. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/31686269
2. Chaix A, Manoogian ENC, Melkani GC, Panda S. Time-Restricted Eating to Prevent and Manage Chronic Metabolic Diseases. Annu Rev Nutr. 2019;39:291-315. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/31180809
3. Lucassen EA, Rother KI, Cizza G. Interacting epidemics? Sleep curtailment, insulin resistance, and obesity. Ann N Y Acad Sci. 2012;1264:110-134. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22827862
4. Panda S. Circadian physiology of metabolism. Science. 2016;354(6315):1008-1015. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27885007
5. Herzog N, Jauch-Chara K, Hyzy F, et al. Selective slow wave sleep but not rapid eye movement sleep suppression impairs morning glucose tolerance in healthy men. Psychoneuroendocrinology. 2013;38(10):2075-2082. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23602132
6. Barone MT, Menna-Barreto L. Diabetes and sleep: a complex cause-and-effect relationship. Diabetes Res Clin Pract. 2011;91(2):129-137. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20810183
7. Shan Z, Ma H, Xie M, et al. Sleep duration and risk of type 2 diabetes: a meta-analysis of prospective studies. Diabetes Care. 2015;38(3):529-537. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25715415
8. Walker MP. Why we sleep. London: Penguin; 2017.
9. Prevention Report.‘‘Insufficient sleep is a public health problem.’’. In: Center_for_Disease_Control, ed. https://www.cdc.gov/sleep/index.html2015
10. Dawson D, Reid K. Fatigue, alcohol and performance impairment. Nature. 1997;388(6639):235. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/9230429