Die nüchterne Aussage meiner Diabetologin, dass mein Cholesterin etwas hoch sei, habe ich ziemlich lange ignoriert. Ich hatte den Eindruck, bereits durch den regelmässigen Sport alles dafür zu tun, dass wenigstens mein «gutes», das HDL-Cholesterin hoch war. Doch mein «schlechtes», das LDL-Cholesterin, war es eben auch.
Zuwenig Kohlenhydrate, zuviel Fett und (tierisches) Eiweiss
In diesen Zeiten hatte ich versucht, fast alle Kohlenhydrate von meinem Speiseplan zu streichen und auf unter 20-30g pro Mahlzeit zu reduzieren. Ich habe fast kein Brot mehr gegessen, keine Pasta, keine Kartoffeln. Furchtbar! Die fehlenden Kohlenhydrate wurden wohl oder übel im Rahmen der «low-carb» Ernährung durch Fette und vor allem tierisches Eiweiss ersetzt. Ich hatte Mühe mit meinem Gewicht, ebenfalls mit der Verdauung. Ich habe abends oft hungrig beim Kochen einen halben Käse gesnackt, eine stolze Menge Fleischkäse oder eine Cervelat mit Senf. Jawohl, beim Kochen, so als nebenbei-Aperitif, und dies mehrmals pro Woche. Im Grunde genommen sehr verständlich, dass mein Cholesterinspiegel zu hoch war….
Und Milchprodukte in rauen Mengen
Zudem habe ich sehr viel Naturjoghurt gegessen. Und zwar das fetteste, das ich finden konnte, denn das schmeckt ja auch am besten! Cappuccinos waren ebenfalls an der Tagesordnung, mehrere natürlich, über den Tag verteilt, am liebsten mit Vollmilch. Sie waren mein Ersatz für Süssigkeiten. Diese Lebensmittel habe ich als blutzuckerneutral betrachtet, was sie – wie ich jetzt weiss – eben überhaupt nicht sind. Meine Blutzuckerwerte waren einigermassen in Ordnung, aber ich brauchte viel Insulin.
Mein Cholesterin blieb zu hoch…
Die Aussage meiner Diabetologin wiederholte sich bei zwei weiteren Kontrollen. Schliesslich kam der leise Vorschlag, dass wir über einen Cholesterinsenker, ein Statin nachdenken sollten. Ein hoher Cholesterinspiegel im Blut erhöht unter anderem das Risiko für Herzinfarkte. Dieses ist beim Diabetiker sowieso deutlich erhöht und so versucht man das LDL-Cholesterin möglichst früh zu senken.
Moment! Dieser – zwar berechtigte – Vorschlag war ein Schlag in die Magengrube. Nachdem ich schon seit Jahren meinen Blutdruck mit einer homöopathischen Dosis an Blutdrucksenkern so tief wie möglich halte, jetzt noch ein weiteres Medikament?
Statine senken Cholesterin im Blut
Statine sind Medikamente die zur Senkung der Blutfettwerte eingesetzt werden. Sie gehören zu den in der Welt am häufigsten verschriebenen Medikamenten und sind durchaus wirksam. Statine hemmen in der Leber ein Enzym, es wird weniger eigenes Cholesterin gebildet und mehr davon aus dem Blut in die Leberzellen aufgenommen. Das Cholesterin im Blut kann so meist bis zu 30% gesenkt werden. Damit sinkt das Risiko für Herzinfarkte. (Genauer: wenn 1000 Menschen 5 Jahre lang mit einem Statin behandelt werden, kann bei 15 (also bei 1.5%) ein schweres kardiovaskuläres Ereignis vermieden werden).1
Recherche: kann man Cholesterin ohne Medikamente wirksam senken?
Hier musste ich eine Recherche-Runde starten. Als ausgebildete Medizinerin und Forscherin ist der medizinische Jargon für mich kein Problem. Allerdings ist die Interpretation von Forschungsergebnissen oft schwierig. Sie hängt nicht nur von den publizierten Zahlen ab, sondern auch von der Qualität der Forschung, der Fragestellung, der Eingrenzung des Themas und der Erhebung der Daten. Bei der Suche stachen mir einige erstaunlich solide wissenschaftliche Publikationen ins Auge. Offenbar konnte eine pflanzenbasierte Ernährung mit Nüssen, Soja und viel Nahrungsfasern (Ballaststoffen) das LDL-Cholesterin bis zu 25-30% senken, ähnlich stark wie Statine.2,3,4,5 Ich war begeistert, das würde ich auf jeden Fall testen!
Pflanzenbasiert? Moooment….
Was ich allerdings eine ganze Weile nicht begriffen hatte, war, dass der Ausdruck «pflanzenbasiert» (englisch «plant-based») natürlich nicht einfach mit «viel Gemüse» gleichzusetzen ist. Hier geht es um ausschliesslich pflanzenbasierter Ernährung, d.h. vegan. Da bin ich das erste Mal zusammengezuckt. Ich konnte mir nämlich grundsätzlich vorstellen, Vegetarier zu sein. Aber Veganer waren für mich bis dahin total extrem, sektiererische Gesundheitsfuzzis, Spinner. Bilder aus dem Supermarkt von in Form gepressten «Würsten» und «Schnitzel», aus irgendwelchen Schleimpilzen, Tofu oder sonst welchen Materialien, die zur Unkenntlichkeit zermantscht und wieder zusammengepappt wurden, bauten sich vor meinem inneren Auge auf. Keinesfalls würde ich so etwas essen.
«Tofu müsse man halt nur gut würzen, dann könne man den schon essen», hatte ich im Ohr. Ein Kollege beruhigte mich mit der trockenen Aussage, dass Bier und Chips ja auch absolut vegan seien. Das sollte mir helfen können? Und was konnte ich dann noch essen? Was wäre mit dem Eiweiss (Protein), würde ich nicht diverse Mängel kriegen, mir Gemüse verleiden? Geht das überhaupt für Diabetiker? (Darüber aber später mehr!)
Harter Entzug als Testlauf
Direkt nach dem Termin bei der Diabetologin entschied ich mich für eine Testphase von drei Monaten. Ich wollte aus Cholesterin-Gründen versuchen, eine Zeitlang rein pflanzenbasiert zu essen. Harter Entzug: keine Milchprodukte mehr, keine Eier, kein Fleisch, kein Fisch. Würde mein Cholesterinwert in diesem Zeitraum sinken? Mein LDL war über längere Zeit um 3mmol/l, über dem für uns Diabetiker empfohlenen Grenzwert von <2.6mmol/l, in dem Bereich wo man eben über die Behandlung mit einem Cholesterinsenker, einem Statin, nachdenkt. Da das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle bei Diabetikern 3-10x höher ist, wird dieser Wert mit <2.6mmol/l sicherheitshalber tief angesetzt.6,7,8
Ein Laborfehler oder ein wirklich tiefer Wert?
Nach drei Monaten hatte sich das LDL-Cholesterin tatsächlich verändert. Ohne weiteres Medikament, ohne Statin. Meine Diabetologin hat die Messung des Wertes direkt ein zweites Mal veranlasst, da sie zunächst an einen Laborfehler glaubte. Der Wert sank auf 2.2mmol/l, weitere 6 Monate später auf 1.6mmol/l und hat sich nun, fast vier Jahre später um 1.4-1.6mmol/l eingependelt. Ja, vier Jahre später. Ohne Kuhmilch, ohne Eier, ohne Fleisch oder Fisch, ohne Käse – für mich als Schweizerin… Daneben sind weitere Sachen passiert: meine Insulinsensitivität hat sich sehr verbessert. (Dazu auch später mehr). Ich esse natürlich automatisch weniger Fett (keine tierischen mehr!) aber viel mehr Kohlenhydrate in Brot, Reis, Früchten, Kartoffeln, etc., und mein Blutzucker schickt sich gleichermassen bei fast 1/3 weniger Insulin! In den ersten 6 Monaten sind 4 Kilos gepurzelt, zwei weitere über die letzten zwei Jahre….
Literaturangaben
1. Taylor F, Huffman MD, Macedo AF, et al. Statins for the primary prevention of cardiovascular disease. Cochrane Database Syst Rev. 2013(1):CD004816. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23440795
2. Craig WJ. Health effects of vegan diets. Am J Clin Nutr. 2009;89(5):1627S-1633S. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19279075
3. Ferdowsian HR, Barnard ND. Effects of plant-based diets on plasma lipids. Am J Cardiol. 2009;104(7):947-956. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19766762
4. Yokoyama Y, Levin SM, Barnard ND. Association between plant-based diets and plasma lipids: a systematic review and meta-analysis. Nutr Rev. 2017;75(9):683-698. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28938794
5. Jenkins DJ, Kendall CW, Marchie A, et al. Effects of a dietary portfolio of cholesterol-lowering foods vs lovastatin on serum lipids and C-reactive protein. JAMA. 2003;290(4):502-510. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12876093
6. von Eckhardstein A, Riesen WF, Carballo D, et al. Empfehlungen zur Prävention der Atherosklerose 2018: Update der AGLA. Swiss Medical Forum – Schweizerisches Medizin-forum. 2018;18(47):975-980. https://medicalforum.ch/article/doi/smf.2018.03407
7. Diabetes Fact Sheet. In: (WHO) WHO, ed. https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/diabetes2018
8. Johnston KC, Bruno A, Pauls Q, et al. Intensive vs Standard Treatment of Hyperglycemia and Functional Outcome in Patients With Acute Ischemic Stroke: The SHINE Randomized Clinical Trial. JAMA. 2019;322(4):326-335. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/31334795