Diabetiker*innen steigen manchmal auf künstliche Süssstoffe um. «Ich brauche was Süsses», ein häufiger Gedanke von Diabetiker*innen, meist direkt mit schlechtem Gewissen verbunden.
Aber es gibt ja Zucker-frei, Zucker-reduziert, Süssstoffe…
Jawohl, und genau hier fängt es an, kompliziert zu werden. Die Lebensmittelindustrie schafft es auch hier, uns Kunden komplett an der Nase rumzuführen. Manch eine Diabetikerin bezahlt das mit schlechtem Blutzucker, Blähungen und Gewichtszunahme, trotz der ganzen «light», «zero» und «sugar-free» Produkte.
Süss – aber was ist jetzt Sache?
- Zucker-frei (sugar-free): weniger als 0.5g Zucker pro Portion. «Sugar-free» darf alles genannt werden, was keine Saccharose (Haushaltszucker) enthält. Solche Lebensmittel können aber den Blutzucker trotzdem erhöhen. Wenn sie nämlich komplexe Kohlenhydrate enthalten oder Fruktose (Fruchtzucker). Einige der «für Diabetiker geeignete» Zuckeraustauschstoffe (Zuckeralkohole) wie Sorbit, Xylit, Isomalt, etc., erhöhen den Blutzucker ebenfalls, wenn auch langsamer und weniger stark (etwa halb so stark wie Haushaltszucker). Diese Süssstoffe führen oft bereits in geringen Mengen zu Blähungen und wirken in grösseren Mengen abführend.
Nur wenige künstliche Süssstoffe haben keinen unmittelbaren Effekt auf den Blutzucker, so zum Beispiel Saccharin, Acesulfam K, Stevia und Aspartam. Allerdings stehen diese Süssstoffe im Verdacht, den Blutzuckerspiegel einige Stunden später anzuheben und den Appetit bei der nächsten Mahlzeit zu steigern.
- Zucker-reduziert: Ein Lebensmittel darf «Zucker-reduziert» genannt werden, wenn es mindestens 25% weniger Zucker als das Originalprodukt enthält.
- Ohne Zuckerzusatz (no added sugar): während der Verarbeitung werden kein Zucker oder zuckerhaltige Zutaten wie Saft oder Trockenfrüchte zugefügt.
- Leicht gesüsst, niedriger Zuckergehalt: aussageloser, nicht regulierter Begriff. Ist auf Lebensmitteletiketten als Angabe nicht erlaubt.
Künstliche Süssstoffe
Kalorienarme künstliche Süssstoffe führen – nebst den Blähungen – genauso zur Gewichtszunahme wie natürliche Zucker. Ausserdem verändern sie die Darmbakterien und erhöhen so den (schlechten) Bauchhöhlenfettanteil. Die Veränderung der Darmbakterien durch langfristigen Verzehr von kalorienarmen Süssstoffen haben bei vielen Personen sogar eine Insulinresistenz zur Folge.1,2 Das ist natürlich komplett kontraindiziert für Diabetiker*innen und die die es NICHT werden wollen!
Lust nach Süssem
Andererseits – und das finde ich für Diabetiker fast wichtiger – erhalten und fördern Süssstoffe die Lust nach Süssem. Viele sagen sogar von sich, sie seien «süchtig» nach Süssem. Nun ja, dies kann man sich relativ einfach abgewöhnen: Wie alle Gewebe im Körper haben unsere Geschmacksknospen auf der Zunge und im Gaumen eine beschränkte Lebenszeit. Sie werden kontinuierlich durch neue Geschmacksknospen ersetzt. Die mittlere Lebenszeit einer solchen Geschmacksknospe ist ungefähr 10-12 Tage.3 Somit kann man seinen Geschmackssinn innerhalb weniger Wochen dauerhaft umtrainieren, denn für die neuen Knospen ist weniger süss einfach normal.
Sich-Süsses-abgewöhnen ist somit recht einfach: Tee und Kaffee schmecken nach zwei Wochen ohne Zucker genauso gut – wenn nicht sogar besser, weil man das schlechte Gewissen ebenfalls losgeworden ist!
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Literaturangaben:
1. Fowler SPG. Low-calorie sweetener use and energy balance: Results from experimental studies in animals, and large-scale prospective studies in humans. Physiol Behav. 2016;164(Pt B):517-523. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27129676
2. Nettleton JE, Reimer RA, Shearer J. Reshaping the gut microbiota: Impact of low calorie sweeteners and the link to insulin resistance? Physiol Behav. 2016;164(Pt B):488-493. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27090230
3. Beidler LM, Smallman RL. Renewal of cells within taste buds. J Cell Biol. 1965;27(2):263-272. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/5884625