In Europa leben über 60 Millionen Menschen mit Diabetes. Das sind etwa 1 von 10 Personen. Die Krankheitshäufigkeit nimmt in allen Altersgruppen nach wie vor zu, und bei etwa 40% der Menschen (23.5 Millionen) zwischen 20-79 Jahren ist der Diabetes nicht oder noch nicht diagnostiziert. Gründe für die Zunahme sind vor allem veränderbare Risikofaktoren (Lifestyle-Faktoren): Übergewicht und Fettleibigkeit, ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel.
Die Krankheit verursacht massive Kosten im Gesundheitswesen, für das Jahr 2015 lagen die Schätzungen für die Europäischen Länder bei 156 Milliarden US-$, fast 10% der gesamten Gesundheitskosten.1
Was können wir grundsätzlich vom Leben erwarten?
Nach einigen Tagen Intensivstation mit meiner neuen Typ-1-Diabetes-Diagnose lag ich in einem Zimmer im kleinen Kantonsspital und wartete. Ich war ein Tag vor der Diagnose 21 geworden und hatte natürlich bis dahin keine Ahnung von Diabetes. Auf was ich wartete, wusste ich nicht. Ich durfte nicht einmal raus in den Park, zu gefährlich wegen möglicher Hypos.
Wow. Was würde ich nun zu erwarten haben? Wie geht ein Leben mit Diabetes?
Als ob es in der Verantwortung eines anderen läge, es uns zu sagen. Wir können vom Leben mit Diabetes gleich viel oder wenig erwarten wie vom Leben ohne Diabetes. Wie wir uns einer solchen Krankheit stellen, liegt in unserer Hand: Wir können uns nicht wegwünschen, Diabetiker*innen zu sein. Es nützt uns nichts, das Schicksal zu beschimpfen, über die Ungerechtigkeit klagen, dass es uns «erwischt» hat. Niemand hat behauptet, dass das Leben einfach sei oder gerecht. Das Leben ist unberechenbar. Glück und oft auch Gesundheit sind wankelmütig. Vieles können wir nicht beeinflussen.
Wir entscheiden, wie wir spielen
Aber einiges können wir beeinflussen! Das wissen wir Diabetiker*innen alle, auch wenn es oft schwer ist. Wir dürfen gute Zeiten nicht als so selbstverständlich hinnehmen. Wir sollen uns jeden Tag zusammenreissen, unseren Blutzucker so gut wie möglich zu halten. Alles unternehmen, damit dieser so stabil wie möglich und wir ansonsten so gesund und stark wie möglich bleiben. Bewegung, gutes Essen, viel Schlaf…
«All you control is how you play.»
Ryan Holiday
[Alles was Du kontrollierst, ist, wie DU spielst]
Gerne habe ich im vergangenen Jahr immer wieder darüber gelesen, was die Stoiker in ihrer Philosophie als die höchsten Tugenden hochhalten: Mut. Selbstdisziplin. Gerechtigkeit. Weisheit. Das heisst: Keine Angst zu haben, nicht den niederen Instinkten nachzugeben, sich nicht so wichtig zu nehmen. Sich nicht nur an die Regeln zu halten, sondern auch an die «Empfehlungen». Sich nicht als Nabel des Universums zu betrachten, und an den eigenen kleinen Problemen und Unpässlichkeiten zu leiden. Sondern stark und mutig zu sein, anderen zu helfen, das Gute im Leben zu sehen.
Wir haben ein einziges Leben, ein imperfektes, anstrengendes, frohes, trauriges, schönes Leben. Das Leben als Diabetiker*in ist vielleicht wirklich anstrengender, kürzer, und scheint von mehr Problemen gezeichnet, als das Leben eines Nicht-Diabetikers. Aber wir entscheiden, wie wir spielen. Es ist an uns, das zu verbessern, was in unserer Kontrolle liegt. Danke sagen, für das was, mit uns stimmt. Täglich Mut zu haben, Selbstdisziplin, und an Gerechtigkeit und Weisheit zu arbeiten.
Wieso ich?
Es vergehen selten Tage, an denen ich nicht wünschen würde, keine Diabetikerin zu sein. Sich um einen Typ 1 Diabetes zu kümmern ist keine Nebensache. Es ist sogar ziemlich anstrengend, wenn man das einigermassen gut machen will. Auch ist es leider überhaupt nicht so, dass mich diese eine Krankheit vor einer zusätzlichen bewahrt, im Gegenteil, mein Risiko für viele andere Krankheiten ist mittel- bis hochgradig erhöht. Ich bin seit 27 Jahren chronisch krank, ohne Insulin würde ich innerhalb weniger Tage sterben.
Allerdings vergehen die meisten Tage, ohne dass ich das überhaupt hinterfrage. Ich kann nicht ändern, dass ich Diabetikerin geworden bin. Aber ich kann kontrollieren, wie ich spiele, ich kann kontrollieren, wie ich mich dem Diabetes stelle und ich kann sehr vieles dafür tun, dass mein Leben hervorragend ist. Trotz und mit Diabetes.
Literaturangaben:
1. Faktenblatt Diabetes. In: Europa WWRf, ed. http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0003/305391/Diabetes-Fact-Sheet-ge.pdf?ua=1: 2016.
PS: einen ähnlichen Beitrag hatte ich im Mai bei der Blood-Sugar-Lounge gepostet.
Liebe Carla. Vielen Dank für die aufbauenden Zeilen. Was mir stets hilft ist die Tatsache, dass Ärgern und Klagen keinerlei Veränderung bringen kann, sondern nur sorgfältiges Umgehen mit dem Unabwendbaren. Was mir auch noch hilft ist, dass es so viele Krankheiten gibt, die ich als wesentlich schlimmer ansehe (Krebs, Rheuma, drastische Allergien – und was es sonst noch an Begleitern eines menschliches Lebens so gibt). Ich wünsche uns allen viel Kraft und Geduld.
Inge