Ich habe keine Zeit für Sport, keine Energie. Abends bin ich zu müde, dafür reicht meine Disziplin nicht auch noch! Ich habe beim Sport Hypos, mein Blutzucker gerät durcheinander. Ich bin zu faul, Sport bringt mir nichts. Haben wir nicht alle solche «Gründe», weshalb man sich abends lieber aufs Sofa wirft anstatt sich noch zu bewegen?
Was bringt Sport dem Diabetiker?
Vor allem bei Typ 2 Diabetikern wurden die Effekte von Sport auf die Langzeitblutzuckerwerte (HbA1c) gut untersucht.1 Es konnte gezeigt werden, dass sowohl Ausdauertraining wie auch Krafttraining in einem tieferen HbA1c resultierten. Die absolute HbA1c Reduktion war bei Ausdauersport etwas stärker (0.2-1.6%) als bei Kraftsport (0.1-1.1%). Kombiniertes Training (Ausdauer und Kraft) reduzierte das HbA1c in einer ähnlichen Grössenordnung, etwa um 0.5-1.5%. Der Effekt von regelmässigem Sport ist also stark, senkt das HbA1c etwa um 1%. Zum Vergleich: regelmässiger Sport reduziert das HbA1c etwa gleich stark wie orale Antidiabetika (z.B. von Metformin).2 Sport ist also eine sehr starke Methode, den Blutzucker positiv zu beeinflussen!!
Bei Typ 1 Diabetikern scheint vor allem kombiniertes Training zur stabilen Reduktion des HbA1c und zur besseren Herz-Kreislauf-Fitness beizutragen.3,4 Allerdings wurden bei Typ 1 Diabetikern nur wenige Untersuchungen gemacht – vielleicht auch deswegen die fehlenden klaren Empfehlungen. Unter dem Strich scheint aber für alle zu stimmen: intensiveres (daher anstrengendes) Training bringt mehr, als zeitlich längeres Training und vermutlich ist eine Mischung aus Kraft- und Ausdauersport ideal.
Trotzdem ist erstaunlich, dass mehr als 60% der Typ 1 Diabetiker angeben, nicht regelmässig sportlich aktiv zu sein. Als Gründe werden genannt, dass man keine Zeit habe, keine Motivation, dass man von Freunden oder Familie dabei nicht unterstützt werde, dass man nicht genau wisse, wieviel und wie man trainieren solle. Ein weiterer Teil der schlechten Compliance könnte aus der Furcht vor Hypoglykämien während und nach dem Sport kommen. Tönt das bekannt?
Für viele (Typ 2 Diabetiker) ist der Diabetes tatsächlich überhaupt erst aufgetreten, weil sie sich nicht oder zu wenig bewegen. Viele Typ 2 Diabetiker haben sogar das Glück, den Diabetes (wenigstens vorübergehend) mit viel Bewegung und guter Ernährung wieder loszuwerden. Wer sollte das nicht wollen?!
Wir Typ 1 Diabetiker können das nicht. Unser Diabetes wird nicht verschwinden, aber mit regelmässiger Aktivität wird der Blutzucker viel besser. Er wird rascher wieder normal sein und länger normal bleiben. Natürlich kommt uns da ab und zu ein Hypo in die Quere, aber sobald man Sport und Bewegung in seinen Tagesablauf fest eingeplant hat, wird es einfacher und meist sehr gut berechenbar. Die Nebenwirkungen sind ausschliesslich die, dass man sich besser fühlt, dass sich der Körper auf meist gute Art verändert, dass man positiv wahrnimmt, wie man stärker und selbstbewusster wird.
Ich garantiere, jeder anfängt mehr Sport zu machen, etwas merken: es ist absolut nötig als Diabetiker Sport zu machen! Keine Verhandlungssache. Kein wenn-ich-Zeit-finde oder wenn-ich-Lust-habe. Diabetiker zu sein, ist hart genug und man hat oft keine Lust, ständig zu hören, dass man sich mehr bewegen soll. Der Diabetes wird aber viel weniger hart, wenn man sich bewegt!
Was soll ich tun, um sportlich(er) zu werden?
Es braucht auf jeden Fall alle Komponenten, um eine stabile Routine zu entwickeln, es braucht einen Plan. Wer wie ich eher zu den körperlich Faulen gehört und sowieso schon viel arbeitet, wird nicht regelmässig «Zeit finden», Sport zu machen.
«Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben, sondern viel, die wir nicht nutzen.»
Seneca
Wie Sport klappt: der Plan
1) Pass Dein Umfeld an
Es lohnt sich, sein Umfeld so zu optimieren, dass es klappt. Ich habe zuerst überlegt, woran es oft scheitert, was mir schwerfällt, wieso der Sport wieder verschoben wurde. Bei dieser Übung wurde mir klar, dass der Weg ins Fitnessstudio mir oft zu aufwändig war. So habe ich mir ein Spinning-Bike für daheim organisiert, das war eine grosse Hilfe. Für die Sporteinheiten von 30-40 Minuten gibt es als «temptation bundling» eine Playlist mit guten Songs auf dem Handy. Zusätzlich als Alternative ein Netflix-Abo auf dem iPad, auf einem Rollkorpus vor dem Spinning-Bike. Eine Serienfolge pro Sporteinheit, das passt genau!
2) Plane den Sport wie einen Arzttermin ein
Mein Ziel war zunächst 4x Training pro Woche. Die Trainings wurden wie Arzttermine behandelt, in die Agenda eingetragen und NICHT abgesagt. Rasch hat sich meine Wahrnehmung geändert, schwitzen war nicht mehr unangenehm oder eklig, es war mein oberstes Ziel einer Sporteinheit! In meiner Agenda wurde dann jedes Mal ein fettes Smiley eingetragen, wenn ich trainiert hatte. Das ging sehr gut und hat sich mittlerweile zur Routine entwickelt. Heute sind es 6-7 Einheiten pro Woche, 5 davon anstrengend.
3) Finde Abwechslung, finde einen (zuverlässigen!) Sportspartner
Vielen hilft es, Sport zu zweit oder in der Gruppe zu machen. Das kann durchaus motivierend sein und als Diabetiker fühlt man sich vielleicht sicherer, wenn jemand dabei ist. Allerdings darf die Sporteinheit nicht ausfallen, wenn die Sportsfreundin keine Zeit oder keine Lust hat! Sorge auch für Abwechslung, so kannst Du immer das tun, was Dir am meisten Spass macht. Ich jogge gelegentlich auch (wenn auch schlecht), benutze den Ruder-Ergometer im Fitnesscenter, fahre mit dem Rennrad aus, oder wir machen eine Wanderung, was den Hund sehr freut.
Ich bin seit den letzten 12 Jahren so fit wie nie zuvor in meinem Leben und rufe mir dieses gute Gefühl in Erinnerung, wenn es mir stinkt, auf den Bock zu steigen. Es geht mir nach dem Sport IMMER besser als vorher, meist ist die Laune besser, der Geist ausgeglichener, der Körper angenehmer müde und das Körpergefühl ausgezeichnet.
Also: richte Dein Leben ein, dass Sport dazugehört. Du wirst stolz auf Dich sein, Dich besser fühlen, mehr Energie haben und einen deutlich besseren Blutzucker!
Literaturangaben:
1. Rohling M, Herder C, Roden M, Stemper T, Mussig K. Effects of Long-Term Exercise Interventions on Glycaemic Control in Type 1 and Type 2 Diabetes: a Systematic Review. Exp Clin Endocrinol Diabetes. 2016;124(8):487-494. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27437921
2. Hirst JA, Farmer AJ, Ali R, Roberts NW, Stevens RJ. Quantifying the effect of metformin treatment and dose on glycemic control. Diabetes Care. 2012;35(2):446-454. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22275444
3. Ostman C, Jewiss D, King N, Smart NA. Clinical outcomes to exercise training in type 1 diabetes: A systematic review and meta-analysis. Diabetes Res Clin Pract. 2018;139:380-391. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29223408
4. Tielemans SM, Soedamah-Muthu SS, De Neve M, et al. Association of physical activity with all-cause mortality and incident and prevalent cardiovascular disease among patients with type 1 diabetes: the EURODIAB Prospective Complications Study. Diabetologia. 2013;56(1):82-91. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23052062