Rumsitzen soll genauso schädlich sein wie rauchen? Yep, in epidemiologischen Studien wurde gezeigt, dass körperliche Inaktivität gesundheitlich einen etwa gleich grossen Schaden anrichtet wie starkes Übergewicht oder Rauchen. Daher der Spruch «sitting is the new smoking» (Sitzen ist das neue Rauchen).
(Rum)Sitzen als Risikofaktor
Körperliche Bequemlichkeit ist ein Risikofaktor für die meisten chronischen Erkrankungen. Herz-Kreislauf Probleme wie Bluthochdruck, metabolische Dysfunktionen wie das metabolische Syndrom, Fettleibigkeit, Insulinresistenz bis hin zu muskulo-skeletalen Beschwerden wie Arthrose und Osteoporose etc. treten durch Inaktivität auf oder werden verstärkt. Neben der genetischen Komponente ist körperliche Inaktivität einer der grossen Risikofaktoren, einen Typ 2 Diabetes zu entwickeln. 90% der Typ 2 Diabetiker*innen bewegen sich zu wenig (und vermutlich ein grosser Teil der Typ 1 Diabetiker*innen ebenfalls).1
Wieviel muss man sich denn bewegen?
Die gesundheitlichen Empfehlungen für die Bevölkerung schliessen wöchentlich 150 Minuten moderate bis intense Aktivität ein, oder 75 Minuten sehr anstrengende Aktivität bzw. eine Mischung aus den beiden.2,3 Das tönt doch bekannt, oder? Das entspricht den Empfehlungen für Diabetiker! Zusätzlich erweitert sich die Empfehlung der WHO für die unterschiedlichen Altersklassen noch: in meiner Altersklasse sollte die mässig intensive körperliche Aktivität auf 300 Minuten pro Woche oder eine gleichwertige Kombination aus mässiger und starker körperlicher Aktivität erhöht werden. Zusätzlich sollen muskelstärkende Aktivitäten unter Einbeziehung der wichtigsten Muskelgruppen an 2 oder mehr Tagen in der Woche erfolgen.3
…gilt auch für Familie und Freunde!
Somit ist eine weitere Hürde genommen, Familie und Freunde dürfen, müssen uns sogar beim Sport unterstützen, für sie gilt nämlich genau dasselbe! Natürlich scheint das Zeit in Anspruch zu nehmen. Aber es macht ja auch Freude und man tut sich selber was Gutes.
No pain, no gain?
Es ist nicht so, dass Sport nur «nützt”, wenn man sich total verausgabt. Die oft genutzte Regel «no pain, no gain» (keine Schmerzen, kein Gewinn) ist nicht wahr, sogar Athleten trainieren zu 80-90% der Zeit innerhalb ihrer Komfortzone. Es gibt viele Möglichkeiten, mehr Bewegung in seinen Alltag einzupassen und technische Helfer wie z.B. Schrittzähler, Hörbücher oder einfach Musik auf die Ohren, motivieren und belohnen gleichzeitig. Auch wenn man den Eindruck hat, keine Zeit (oder keine Lust) zu haben, muss man nur die Augen offenhalten. Konsequent Treppe statt Lift, eine Station früher aus dem Bus aussteigen und den Rest zu Fuss gehen, bei Schreibtischarbeiten jede Stunde einen Wecker stellen und zwei bis drei Dehnungsübungen machen, nach jedem Essen 10 Minuten spazieren gehen (das ist als Diabetiker sowieso sehr sehr wichtig). Gelenke, Rücken und Laune danken es einem zusätzlich.
Aktivität im täglichen Leben
Trotz täglicher Bewegung ist es aber das lange «Rumsitzen» selber, das uns nicht guttut. Die erwähnten 150-300 Minuten Sport pro Woche zu absolvieren und die restliche Zeit im Büro oder vor dem Fernseher zu sitzen, erhöhen das Risiko für unsere meisten lifestyle- bedingten Beschwerden und Erkrankungen trotzdem. Zehn Stunden sitzen am Tag erhöhen unser Risiko der Gesamtmortalität (an irgendetwas zu sterben) um 34%.4 Diese Risiken sind natürlich etwas abstrakte Zahlen und hängen von unserem Gesamtrisiko ab, aber als Diabetiker*innen haben wir nicht so viel Reserve. Bei uns sind bereits ziemlich alle Risiken erhöht – schon wegen des Diabetes. Somit wird klar, dass man – gerade wenn man einen Büro-Job hat – die sitzende Tätigkeit sehr regelmässig unterbrechen soll, um sich ein wenig aufzulockern und zu strecken.
Bürojob: kannst Du stehen und gehen anstatt zu sitzen?
Offenbar nützt aber schon der Wechsel in eine stehende Position (z.B. an einem Stehpult), ein flotter Spaziergang morgens, mittags und abends, Treppensteigen anstatt Lift. Beim Telefonieren kann man spazieren gehen und zum Nachdenken sowieso.
Auch im arbeitsfreien Leben gibt es viele aktive Tätigkeiten, die der Gesundheit zuträglich sind, Hobbies wie Gärtnern, Spazieren, Velofahren, Hundesport… sind nur einige Vorschläge.
Literaturangaben:
1. Tamayo T, Rosenbauer J, Wild SH, et al. Diabetes in Europe: an update. Diabetes Res Clin Pract. 2014;103(2):206-217. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24300019
2. Bouchard C, Blair SN, Katzmarzyk PT. Less Sitting, More Physical Activity, or Higher Fitness? Mayo Clin Proc. 2015;90(11):1533-1540. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26422244
3. Physical Activity Fact Sheet. In: (WHO) WHO, ed. https://www.who.int/en/news-room/fact-sheets/detail/physical-activity2018.
4. Chau JY, Grunseit AC, Chey T, et al. Daily sitting time and all-cause mortality: a meta-analysis. PLoS One. 2013;8(11):e80000. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24236168