Sport hat mir bis vor etwa einem Jahrzehnt keine, wirklich keine Freude gemacht. Ich empfand Sport als Zeitverschwendung und unangenehm. Natürlich wusste ich, dass Sport für Diabetiker wichtig ist, so hatte ich bereits im Studium ein Fitness Abonnement. Dieses nahm ich zwar einigermassen regelmässig, aber widerwillig in Anspruch.
Selbstverständlich blieb ich bei allen Aktivitäten die Schlechteste, schied aus Gruppenklassen aus, da ich es nicht schaffte, meine vier Gliedmassen unabhängig voneinander zu koordinieren. Ausserdem war ich sofort ausser Atem oder musste im Hypo am Hallenrand sitzen. Im Kraftraum fand ich es richtig langweilig. Natürlich wäre ich gerne sportlich gewesen, fit und muskulös, aber der Weg dahin schien mir nicht machbar. Und Zeit dafür hatte ich ja auch keine.
Wie kommt der Sportmuffel zum Sport?
«Oh, der junge Mann hat seine Wasserflasche ausgeleert» dachte ich, als ich im Fitnessstudio das erste Mal keines dieser Sofa-Sessel-Hometrainer ergattern konnte, sondern mich auf ein Spinning-Bike setzen musste. Während ich daran herumschraubte und versuchte, beim Einstellen von Sattel- und Lenkerhöhe wenigstens semi-professionell rüberzukommen, bemerkte ich, dass die grosse Pfütze unter dem Spinning-Bike des jungen Mannes von seinem Schweiss stammte. Dieser tropfte ihm vom Gesicht, den Hals runter, T-Shirt bereits klitschnass, nasse Arme, nasse Beine. Trotz rotem Kopf hatte der Typ ein zufriedenes Grinsen im Gesicht. Seine wechselnden Tempi in klarem Rhythmus liessen darauf schliessen, dass er ziemlich motivierende Musik in den Ohren hatte. Nach weiteren 20 Minuten holte er selbstverständlich den Schaber und Putzkessel, und wischte die Schweiss-Lache unter seinem Bike zusammen. Aha, das schien offenbar häufiger vorzukommen.
Verstohlen schaute ich nach links und rechts, die meisten der etwa 10 Bikes hatten wirklich powernde Leute darauf. Andere die Szene hier, als auf der Reihe der Hometrainer-Velos, auf denen ich sonst sass. Naja, um nicht aufzufallen habe ich mich da ziemlich angestrengt und bin auch ziemlich verschwitzt – und absolut stolz und selig – nach einer dreiviertel Stunde unter die Dusche. Natürlich benutzte ich im Anschluss an diese Episode nur noch die Spinning-Bikes. Es machte wirklich mehr Spass, ich ging regelmässiger, meist sogar 2x pro Woche.
Mehr lag nach wie vor nicht drin, ich hatte doch nicht wirklich Zeit für Sport. Einige Wochen später traf ich an einem Kongress einen lieben Kollegen, der immer sehr fettleibig gewesen war, ohne dass es ihn offenbar gestört hätte. Er hatte deutlich abgenommen, ich freute mich für ihn und sprach ihn natürlich sofort darauf an. Ja, er habe jetzt seine eigene Tierklinik und viel Stress, hätte dabei erneut zugenommen. So musste er die Notbremse ziehen und würde jetzt täglich auf seinem Hometrainer Zeitung lesen und Nachrichten schauen. So seien in den letzten sechs Monaten viele Pfunde gepurzelt, vor allem wohl auch, weil er früher beim Zeitungslesen und Nachrichtenschauen statt zu trainieren auch noch gegessen hätte.
Mein Spinning-bike…
Ich war beeindruckt, ging nach Hause und bestellte mir – sehr zur Verwunderung meines Mannes – ein Spinning-Bike. Das war vor etwa 8 Jahren. Es gab in der Zeit zwar kurze Phasen, in denen ich nicht regelmässig darauf gestrampelt habe, aber an vielen Tagen bin ich 30-40 Minuten auf dem Bike. Darunter liegt ein dickes Handtuch, wegen – naja – dem Schweiss, der runtertropft…. Selbstverständlich brauche ich alle möglichen Überlistungstaktiken zur Motivation! Gute Musik, ein Netflix-Abo, YouTube, aber das spielt doch keine Rolle, Hauptsache ich bin dabei und strenge mich an. Ich habe kein konkretes Fitnessziel, aber strample innerhalb vernünftig hoher Pulsbereiche und habe immer den Ehrgeiz behalten, wirklich klitschnass von diesem Bike zu steigen. Das klappt an den meisten Tagen und macht mich so richtig froh!
Ich bleibe freiwillig und doch mit Disziplin dabei, weil der Sport für mich eine liebgewonnene Routine geworden ist. Es ist unkompliziert, ja geradezu einfach, und mit guter Musik oder einem spannenden Hörbuch werde ich direkt belohnt dabei. Zudem tut es mir und meinem Blutzucker unglaublich gut!
Was ist körperliche Fitness?
Körperliche Aktivität (Bewegung im weiteren Sinne) und sportliche Betätigung (geplante, strukturierte und repetitive Aktivität, mit dem Ziel eine oder mehr Komponenten der körperlichen Fitness zu trainieren) gehören zu den Hauptpfeilern im Diabetesmanagement. Die körperliche Fitness besteht einerseits aus kardiorespiratorischer Ausdauer, das heisst, wie gut wie gut die Atmung und der Blutkreislauf in der Lage sind, den Körper mit Sauerstoff zu versorgen. Andererseits aber natürlich auch aus muskulärer Kraft und Ausdauer, sowie Flexibilität. Dazu kommen Fertigkeiten wie Beweglichkeit, Gleichgewicht, Koordination, Geschwindigkeit und Reaktionszeit. Alle diese Komponenten können gesondert trainiert werden.
Sport: Was wird für Diabetiker empfohlen?
Hier scheint es unübersichtlich zu werden: Während die Diabetesgesellschaften regelmässige körperliche Aktivität empfehlen, werden meist mehrere Ziele gleichzeitig damit verfolgt. Die Aktivität, bzw. Sport soll zu Gewichtsverlust oder -kontrolle, verbesserte Blutzuckerkontrolle und allenfalls verbesserte Herz-Kreislaufleistung beitragen. Inwieweit diese Ziele messbar sind, ist umstritten.
Die Empfehlungen sind sogar länderspezifisch unterschiedlich und oft nicht sehr präzis. Für Typ 1 Diabetiker empfehlen US-Experten sportliche Aktivität wenigstens 3x pro Woche, die Kanadier 5x pro Woche. Als Gesamtdauer wird vorzugsweise mindestens 150 Minuten angegeben, was somit Trainingseinheiten von 30 bis 50 Minuten entsprechen würde. Die Intensität soll moderat bis intens sein, also man soll schon recht ins Schwitzen kommen. Empfohlen werden sowohl kombinierte Trainings als auch Ausdauer- oder Kraftsport. Für Typ 2 Diabetiker sind die Angaben auch unterschiedlich, die empfohlene Anzahl und Dauer aber meist noch höher, mehr als 5x (bis 7x) pro Woche, 150-180 Minuten total. Die Aktivität soll ebenfalls moderat bis anstrengend sein.1
Diese unklaren Ansagen waren für mich als Sportmuffel früher selbstverständlich direkt ein ausreichender Grund, die Flinte weit ins Korn zu werfen. Genau betrachtet sind die Ansagen aber ziemlich klar: mehrmals wöchentlich bis täglich 30 Minuten oder länger – und schwitzen dabei… Tönt anstrengend, und das soll es auch sein!
P.S.: für Nicht-Diabetiker wird dasselbe empfohlen…..
Literaturangabe:
1) Rohling M, Herder C, Roden M, Stemper T, Mussig K. Effects of Long-Term Exercise Interventions on Glycaemic Control in Type 1 and Type 2 Diabetes: a Systematic Review. Exp Clin Endocrinol Diabetes. 2016;124(8):487-494. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27437921
Liebe Frau, ich bin stolz auf Dich!
…aber Flinte-ins-Korn-Weitwerfen wäre ja auch keine Sportdisziplin?!
Kuss, Dein Tim
Was ein Sportmuffel bedeutet kann ich sehr gut nachvollziehen. Habe es aber im fortgeschritten Alter doch noch 5x die Woche zur Wasserlache gebracht…
Liebe Grüsse Ernesto
Liebe Carla, du schreibst ganz wunderbar und inspirierend. Herzlichst, Sabine