Mangelnde Selbstkontrolle ist ein ständig wiederkehrendes Thema bei mir und sicherlich auch bei vielen anderen Diabetiker*innen. Der Unterschied zwischen «sollen» und «wollen» ist oft frappant.
Ein «Sollen» wie zum Beispiel Bewegung, gesunde Ernährung, ausreichend schlafen ist meist erst längerfristig von Nutzen. Das «Wollen» aber – auf dem Sofa liegen, sich von Snacks ernähren, zu lange aufbleiben – stellt im Moment die interessantere Alternative dar. Wer kennt das nicht: im Restaurant studiert man die Karte und hat irgendwie Lust auf Pizza, auch wenn man sich vorgenommen hat, eher nur einen Salat zu bestellen. Die «Variante Salat» hätte einen tollen Nutzen, guten Blutzucker und nicht zuviele Kalorien abends. Es wäre ein Erfolg in Selbstkontrolle. Leider entscheidet man sich oft für das verführerischere «Wollen», die «Variante Pizza» und empfinden uns im Nachhinein als undiszipliniert.
Verführungen widerstehen
Selbstkontrolle und Disziplin sind leider keine effiziente Methoden, Verführungen zu widerstehen. Gerade nach einem anstrengenden Tag, wenn wir müde oder hungrig sind, oder bei Stress verfallen wir den Verführungen. Dazu gehören oft Süssigkeiten, fettes Essen oder alkoholische Getränke. Im Nachhinein plagt uns schlechtes Gewissen und es war die kurzzeitige Freude oft nicht wert.
Kann der Staat uns vor Verführungen schützen?
Massnahmen wie staatliche Regulationen sind zusätzliche Steuern auf sehr «ungesunde» Lebensmittel, reglementierte Reduktion oder Limiten im Zuckergehalt, einem Ampelsystem auf Lebensmittelverpackungen, das die Nährwertqualität des Lebensmittels anzeigt. Diese Massnahmen werden in einigen Ländern vom Staat ergriffen und haben einen sehr starken Impact auf die Gesundheit der Bevölkerung. Bei uns sind sie nach wie vor umstritten, da sie die «Wahlmöglichkeiten» der Bürger einschränken. Das sehe ich jedoch anders.
Mehrere lateinamerikanische Länder haben sich zum Beispiel regelrecht zu Vorreitern gesundheitsfördernder Regulierung entwickelt. Ein sehr strenges Kennzeichnungsgesetz für Lebensmittel gilt seit 2016 in Chile. Enthält ein Lebensmittel zum Beispiel mehr als 10 Gramm Zucker pro 100 Gramm, muss dies mit einem achteckigen «Hoher Zuckergehalt»-Symbol versehen werden. So erkennt man beim Einkaufen direkt, welche Lebensmittel vielleicht eher im Regal bleiben sollten.
Gleichzeitig mit den Kennzeichnungen wurden auch der Verkauf und die Werbung für bestimmte Lebensmittel eingeschränkt. Stark gesüsste Lebensmittel und Getränke dürfen nicht mehr in Schulen angeboten werden. Auch Rezepte für die Mahlzeiten in den Schulen mussten deshalb umgestellt werden – auf gesündere Zutaten. Was ist daran verkehrt?
Die einen mögen das Bevormundung nennen, aber wenn man bedenkt, welch hohe Macht und Einfluss die Lebensmittelkonzerne via Werbung auf uns haben, finde ich es sehr gerechtfertigt, wenn der Staat seine Bürger warnt und schützt. Schlussendlich ist dies vergleichbar mit den Werbeverboten für Zigaretten und Alkohol.
Lieber Empfehlungen als Verbote
Die gekennzeichneten zuckerhaltingen Lebensmittel sind in diesen Ländern ja nicht verboten, sondern einfach mit Warnhinweisen ausgestattet. Sie ermahnt den Konsumenten, gut zu überlegen. Bei uns würden auch Subventionen oder mehr Werbung für Früchte und Gemüse anstatt von Käse und Fleisch helfen. Solche Massnahmen helfen mit, dass nicht alle Entscheidungslast auf den Konsumenten landet und wir Konsumenten wären gleichzeitig besser informiert und geschützt.
Wie schütze ich mich vor Verführungen?
Zuhause hilft oft der alte Spruch: «aus den Augen, aus dem Sinn». Ich passe meine Umwelt nach dem Motto «führe mich nicht in Versuchung» an. Verführungen einfach aus dem Weg zu räumen hilft nämlich erstaunlich stark. Den Fernseher einfach in einen Schrank zu stellen, macht bereits einen Unterschied im Fernsehkonsum.4 «Ungesündere» Lebensmittel aus der Sichtlinie zu entfernen (oder besser gar nicht zu kaufen), hilft ebenfalls. Das scheint eine ziemlich tolpatschige Selbstüberlistung , aber das kleine Mass an Reibung macht es für uns direkt weniger attraktiv. Auch umgekehrt funktioniert das: eine attraktiv gefüllte Obstschale auf dem Tisch die wir ständig sehen «verführt» uns in positiver Hinsicht.
…. und manchmal muss man halt einfach etwas inkonsequent sein, und es geniessen 🙂